Allein überlastet energiearm
Fast die Hälfte der Menschen, die sich wegen hoher Energiekosten oder drohender Energiesperre an die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz wenden, ist mit ihrer Situation überfordert. In 75 Prozent der Fälle konnte die Energiekostenberatung die Probleme lösen oder zumindest eine Erleichterung der Situation erzielen. Das sind zwei wesentliche Ergebnisse der ersten landesweiten Auswertung von rund 800 Beratungsfällen der Verbraucherzentrale. Die Ergebnisse bestätigen die Aussagen, die bereits 2015 in einer kleineren Stichprobe für Mainz getroffen wurden. Rat suchen vor allem Alleinstehende, Alleinerziehende und Menschen mit besonderen Belastungen wie Krankheit oder Schicksalsschlägen. Die Mehrheit erhält soziale Leistungen wie Arbeitslosengeld II oder Grundrente. Handlungsbedarf sieht die Verbraucherzentrale unter anderem bei der Abrechnungspraxis der Versorger, der Organisation der Grundversorgung sowie bei den staatlichen Hilfen und beim energetischen Standard von Wohnraum im unteren Preissegment.
"Bei einkommensschwachen Haushalten reicht das Geld oft nicht, um unvorhergesehene oder schwer einschätzbare Kosten zu stemmen", so Antje Kahlheber, Leiterin des Projekts Energiekostenberatung bei der Verbraucherzentrale. Kommt es am Jahresende dann noch zu Forderungen einer Nachzahlung der Energiekosten, ist das meist der erste Schritt in die Energieschulden.
Das hohe Niveau der Energiepreise verschärft das Problem noch. Viele Ratsuchende wissen nicht, dass sie den Versorger wechseln und einen günstigeren Vertrag abschließen können. Hohe Verbrauchswerte und damit verbunden hohe Kosten werden oft durch elektrische Heizung oder Warmwasserbereitung verursacht, die häufig in Wohnräumen mit günstiger Grundmiete vorhanden sind und auf die die Mieter keinen Einfluss haben. Hier liegen auch strukturelle Probleme vor, die gelöst werden müssen.
Elektrische Warmwasserbereitung oder Elektroheizung ist zu einem Armutsrisiko geworden, so Hans Weinreuter, Fachbereichsleiter Energie und Bauen bei der Verbraucherzentrale. Wenn Bauherren aus Kostengründen elektrische Warmwasser- und Heizsysteme einbauen, verlagern sie Kosten auf die zukünftigen Mieter. Dies gilt vor allem für die sogenannten Infrarot-Heizungen, die fälschlicherweise als energieeffizient vermarktet werden. Werden Nachzahlungen fällig, bieten manche Versorger keine oder keine bezahlbaren Ratenpläne an. Aber nicht nur Versorger sollten gesetzlich zum Angebot einer Ratenzahlung verpflichtet werden, auch bei den Behörden fehlt es an einer einheitlichen Vorgehensweise: ob und unter welchen Umständen Darlehen vergeben werden oder wo die Angemessenheitsgrenze für die Heizkosten liegt.
Ratsuchende sind bei der Energieversorgung schnell überfordert. Sie verstehen die Abrechnungen oft nicht, übersehen Sperrandrohungen, kennen ihren Verbrauch nicht und nutzen die Möglichkeit des Tarifwechsels oder der Sonderkündigung nicht. Das betrifft zwar nicht nur die einkommensschwachen Haushalte, aber für diese wird die Situation schnell existenzbedrohend, denn sie haben keine Rücklagen. "Wer nicht vorausschauend handelt und schnell reagiert, zahlt drauf", so Kahlheber. "Und das sind in erster Linie benachteiligte Menschen, die durch familiäre Belastung, Krankheit, fehlende Bildung oder Sprachkenntnisse wenig handlungsfähig sind."
Ratsuchenden kann die Energiekostenberatung der Verbraucherzentrale aus der Klemme helfen. Die Experten prüfen Rechnungen, Forderungen, Verbräuche und Tarife und zeigen Schritte zur Kostenreduktion auf. Bei drei Vierteln der Ratsuchenden konnte eine Versorgungssperre verhindert oder wieder aufgehoben werden. Viele Menschen brauchen aber langfristige Unterstützung.
Das System muss optimiert und am Menschen ausgerichtet werden. Auf Bundesebene fließen die Erfahrungen aus den Beratungen in Rheinland-Pfalz derzeit in die Untersuchung "Bezahlbare Energie" des Energiemarktwächters der Verbraucherzentrale ein. Auf Landesebene wird die Verbraucherzentrale das Gespräch mit der Politik suchen und sich für Lösungen stark machen.
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